Stünde nicht auf dem Klappentext, dass dieser Roman in Teilen auf einer wahren Geschichte beruht, ich hätte es nicht geglaubt!
Bei den Libellenschwestern handelt es sich mal wieder um einen Roman, der auf zwei Zeitebenen spielt, die am Ende verknüpft werden. Oft schon ging es mir so dass ich dachte, die Vergangenheit ist ja spannend, aber die Gegenwart doch wohl eher als Füllmaterial gedacht. Diesmal jedoch konnten mich beide Stränge fesseln …
In der Gegenwart lernen wir die junge Anwältin Avery kennen, deren Leben eigentlich schon vorbestimmt zu sein scheint. Hineingeboren in eine erfolgreiche Politiker- und Juristenfamilie steht für alle fest, sie wird in Papas Fußstapfen treten und das lieber heute als morgen, denn Papa ist schwerkrank. Auch der Ehemann ist ausgesucht und dem gemeinsamen Glück steht – zumindest, wenn man Averys Mutter und zukünftiger Schwiegermutter Glauben schenkt – nichts mehr im Weg. Kurz nachdem Avery aber durch Zufall, der ihr unbekannten alten Dame May (Rill) in einem Altersheim begegnet, scheint ihr Weltbild ins Wanken zu geraten …
In den 1930er Jahre, als Rill noch Kind war, lebten sie, ihre Eltern und Geschwister auf einem Hausboot in Tennessee. Sie waren arm, doch die Kinder waren glücklich um ihre Freiheit auf dem Fluss. Als eine schwere Geburt die Mutter aus dem Leben reißt, ist es jedoch um ihre Unabhängigkeit geschehen. Sie werden zu Opfern der kinderraubenden Georgie Tann der Tennessee Children’s Home Society, die auf illegale Weise Kinder in ihren Besitz brachte, um sie später meistbietend im wahrsten Sinne des Wortes zu verscherbeln. So beginnt der lange Leidensweg der Geschwister Foss …
Natürlich lädt ein solches Buch zur Recherche im Internet ein. Was ich da zu lesen bekam, verursachte mir Gänsehaut. Noch bis in die 50er Jahre wurde diese Form von Kinderraub praktiziert und die Kinder ihren potenziellen neuen Eltern sogar als „Weihnachtsgeschenk“ schmackhaft gemacht.
Für die Allgemeinheit war Tann nur eine mütterliche, wohlgesinnte Frau, die ihr Leben der Rettung von Kindern in Not verschrieben hatte. Dadurch dass sie die Adoption von Kindern durch reiche, bekannte Familien so zelebrierte, wurden Adoptionen allgemein immer beliebter. Waisenkindern haftete nicht länger der Ruf an, dass sie unerwünscht oder von Grund auf verdorben waren. Georgias hochkarätige Kunden waren Politiker wie der New Yorker Gouverneur Herbert Lehman, und Hollywood-Stars wie Joan Crawford und June Allyson und ihr Mann, Dick Powell. Ehemalige Mitarbeiter aus Tanns Waisenhaus in Memphis erzählen von bis zu sieben Babys an einem Tag, die alle im Schutz der Dunkelheit zu „Pflegefamilien“ nach Kalifornien, New York und in andere Staaten gebracht wurden. In Wahrheit wurden diese Kinder zu lukrativen Preisen außerhalb des Staates adoptiert und Tann behielt den Löwenanteil der exorbitanten Vermittlungsgebühren für sich. Als man sie wegen ihrer Methoden befragte, lobte Georgia ihre Vorgehensweise selbst in höchsten Tönen, denn die Kinder wurden schließlich von armen Eltern, die sie angeblich nie angemessen großziehen könnten, zur „feinen Gesellschaft“ gebracht. (Quelle: penguinrandomhouse.de)
Das Buch ist keine leichte Kost, das Thema aber verdient am Leben erhalten zu bleiben, damit solche Grausamkeiten sich nie wiederholen mögen. Von mir gibt es wohlverdiente fünf von fünf Sterne und eine Leseempfehlung für alle, die sperrigen Themen nicht einfach aus dem Weg gehen.
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