Für mich ist es immer etwas ganz Besonderes, wenn AutorInnen ihren Roman um eine echte Person schreiben, anstatt einen fiktiven Charakter zu kreieren. So ist es der Fall bei Ulrike Renks erstem Teil ihrer Saga um „Eine Familie in Berlin“. Er dreht sich primär um Paula Oppenheimer, spätere Paula Dehmel, die mit dem Dichter Richard Dehmel verheiratet war, der schließlich zu einer der führenden Persönlichkeiten im literarischen Leben Berlins aufstieg. Paula hat das Glück in einer liebevollen Familie aufzuwachsen. Das Geld ist immer knapp, doch es herrscht durch vier Kinder und zwei Untermieter stets Leben „in der Bude“. Ganz im Gegensatz zum Haushalt ihrer Tante Guste – der Schwester ihrer Mutter – bei der es eher ruhig zugeht, dafür aber Geld keine wirkliche Rolle spielt. Schweren Herzens gewährt ihre Mutter Paula den Umzug zur Tante, die sie fürsorglich unter ihre Fittiche nimmt, um sie auf das Leben vorzubereiten. Zwischenzeitlich wird auch ihr geliebter Bruder Franz erwachsener und bringt schließlich während seines Studiums den besten Freund ins Haus, den jungen Richard Dehmel, dessen Charme Paula bald erliegen wird …
Ich gebe zu, Paul Oppenheimer sagte mir bis dato nichts, vielleicht hatte ich schon mal von Franz Oppenheimer, dem späteren Arzt, Soziologen und Nationalökonom gehört? Aber wenn, auch nur am Rande. Auch Richard Dehmel, der einst zu den bekanntesten Dichtern zählte, war mir zuerst ein Fremder. Doch schnell hatte Ulrike Renk meine Neugier geweckt. Sie nahm mich an die Hand und ließ mich teilhaben an der innigen Beziehung, die die Geschwister Franz und Paula pflegten. Ließ mich den Abenden beiwohnen, an denen Julius und Toni Oppenheimer - und später Richard und Paula - ihr Haus öffneten, um gemeinsam mit Freunden zu musizieren, debattieren und zu speisen und trinken. Sie zeigte mir Paulas Entdeckung ihrer Liebe für den unbändigen Richard, ließ mich mit ihr erst um seine Anerkennung vor den Eltern kämpfen aber auch tief mit ihm abstürzen, wenn der große Dichter sie immer wieder enttäuschte. Für mich entwickelte die Geschichte eine Sogwirkung, die mich immer tiefer eintauchen ließ in das damalige Leben. Ich liebte die Gedichte, die hübschen Lieder und die cleveren Rätselreime, die Paula erdachte, und natürlich den schönen Briefwechsel – eine Kunst, die heute verloren scheint. Gerne wäre ich auch noch tiefer in die Geschichte von Franz, Elise und Carl eingetaucht, doch das wären wohl eigenständige Romane geworden, denn alles andere hätte den Rahmen gesprengt. Aber so freue ich mich nun doppelt auf den nächsten Band, der im nächsten Februar erscheinen soll. Hier treffen wir dann abermals auf Paula und ihre Familie. Ulrike deutete ja an, dass ich mich eventuell mit Richard, der mir in diesem Buch sehr unsympathisch war, wieder ein wenig aussöhnen könnte ... ich bleibe gespannt ;)
Ich vergebe für diesen einfühlsamen autobiographischen Roman mit dem wunderbaren Cover sehr gerne alle fünf Sterne und eine uneingeschränkte Leseempfehlung.
Neugierig geworden auf Paulas Dichtkunst, habe ich mir übrigens gerade ihr kleines Werk „Rumpumpel“ bestellt. Das wird neben diesem Buch einen Platz in meinem Bücherregal erhalten und mich an schöne Lesestunden erinnern.
Comments